Ende 1976
uberraschte Zweitaktspezialist Suzuki die Szene mit der neuen GS 750. Es war die
erste Viertakt-Maschine vom drittgrosten Motorradhersteller der Welt.
Mit dem
Werbeslogan gSportskanone fur Scharfschutzeng schlug
die erste Viertakt-Suzuki buchstablich wie eine Bombe ein. Was die
Marketingagentur allerdings nicht ahnen konnte, am 7. April 1977 wurde
Generalbundesanwalt Siegfried Buback von seinem Morder auf einer Suzuki GS 750
erschossen. Fur die Anzeige kassierte Suzuki machtig Medienschelte, das
quicklebendige Vierzylinder-Bike wurde trotzdem auf Anhieb Klassenbeste.
Die Delegation bestand aus drei hochrangigen
Suzuki Managern: Hidaka-san, Masuda-san und Ikegami-san (san = japanisch Herr). Ihr Gemutszustand war
momentan gespalten. Der Angstschweis stand ihnen sichtlich auf der Stirn,
andererseits konnten sie ihre Begeisterung kaum verbergen. Noch nie in ihrem
Leben waren sie so schnell gefahren. In knapp 30 Minuten hatte Fritz Roth die Herrschaften im silbergrauen
BMW 528 mit Vollgas uber die Autobahn von Heppenheim zum Frankfurter Rhein/Main
Airport chauffiert. Der Besuch bei der deutschen
Suzuki-Vertretung in Hammelbach Anfang 1976 hatte neben den ublichen
Geschaftsbesprechungen namlich einen wichtigen Grund. Nach Meinung der
Firmenleitung in Hamamatsu/Japan sollte Fritz Roth den Importeurssitz moglichst
rasch nach Frankfurt oder Dusseldorf
verlegen. Hammelbach sei nach Auffassung der Suzuki-Bosse zu sehr abgelegen, die
Wegfuhrung in das romantisch gelegene Odenwaldortchen zu kompliziert und obendrein schlecht ausgeschildert. Eine
Weltfirma wie Suzuki gehort in eine Metropole, oder wenigstens in die Nahe eines
grosen Flugplatzes, so lautete jedenfalls
die Order.
Nach der rekordverdachtigen Spritztour hatte
Fritz Roth die Top-Manager jedoch
uberzeugt. Sein Vorschlag, den Suzuki-Firmensitz demnachst nach Heppenheim an
der Bergstrase zu verlegen, wurde akzeptiert. Eine weitere Forderung der Japaner
war die Verpflichtung des Aral-Renndienstleiters Ernst Degner als Technischer
Leiter. Ex-DDR-Burger Degner, der als MZ-Werksfahrer und 125er Vizeweltmeister
1961 in den Westen gefluchtet war, hatte damals in der japanischen Suzuki Versuchs- und
Rennabteilung Unterschlupf gefunden, wurde Werkspilot und 1962 erster
50-ccm-Weltmeister! Solche Heldentaten werden im Inselreich naturlich nicht
vergessen, mit Ernst Degner wollte man den Posten mit einem kompetenten und
ihnen gut bekannten Fachmann besetzen.
Mit dem Umzug nach Heppenheim grundete Fritz Roth Mitte 1976 die ?Suzuki Motor Deutschland GmbHg. Rund 25 alte
und neue Mitarbeiter kummerten sich um Vertrieb und Service des aus agilen Zweitakt-Maschinen von 50 bis
750 ccm mit Ein-, Zwei- und Dreizylinder-Motoren bestehenden Modellprogrammes.
Seit Beginn der
Moped- und Motorradproduktion 1952 war Suzuki als Zweitaktspezialist beruhmt geworden. Mit der
"CCI"-Frischolschmierung, sowie dem
zweiten "SRIS"-Schmierkreislauf und dem gECTSg-Auspuffsystem hatte man
dieses Arbeitsprinzip besonders bei den GT 380, GT 550 und GT 750
Dreizylindermaschinen standig weiter entwickelt. Die Qualitat aller Suzukis war hervorragend, die Zweitakttriebwerke
robust, zuverlassig und langlebig.
Anders als bei den drei Mitbewerbern Honda, Yamaha und
Kawasaki, die hauptsachlich oder vereinzelt Viertakter im Programm hatten, setzte Suzuki neben der
Zweitaktbaureihe auf das Wankel-Konzept. In kein anderes Modell investierte das Werk so
viel Entwicklungsarbeit und -kosten. Die RE5 ?Rotaryg sollte ein Prestigeprojekt werden. Stolz verwiesen die
Techniker aus Hamamatsu auf uber 20 eigene Patente. Auf dem ganzen Motorradmarkt
gab es bei der Prasentation 1974 keine vergleichbare Maschine. Leider hatte
Suzuki die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Wankel wollte namlich niemand
haben, sie wurde zum Ladenhuter, zum Flop. In Deutschland liesen sich nur 65 RE5
verkaufen.
Von alledem wusste man naturlich in
Heppenheim. Aber anders als heute gab es in diesen Jahren noch einen gewaltigen
Zweitaktmarkt, und hier hatte Suzuki die Nase vorne. Allerdings konnte niemand
ahnen, dass schon kurz nach dem Umzug eine brandneue 750er
Vierzylinder-Viertakt-Maschine in der Heppenheimer Testwerkstatt stehen wurde.
Verandertes Umwelt- und Marktbewusstsein, besonders im Absatzland Nummer eins,
den USA, forderten ein neues
Modellkonzept. Der erste Schritt dahin war diese leistungsstarke, umwelt- und
wartungsfreundliche 750er. Nach gut drei
Jahren Entwicklungszeit wurde der erste Prototyp 1975 auf der hauseigenen
Ryuyo-Versuchsstrecke getestet. Dann verging noch einmal ein Jahr, bis die neue
Suzuki fur geheime Testfahrten nach Deutschland kam.
Unter Ausschluss der Offentlichkeit wurde die
GS 750 von Ernst Degner sowie deutschen
und japanischen Technikern im Odenwald
und auf der Autobahn quer durch Deutschland einem letzten Abschlusstest unterzogen. Die Angst, nach der RE5 Wankel
wieder einen Flop zu landen, war im
japanischen Stammhaus riesig gros. Eine weitere Pleite konnte und durfte man
sich nicht leisten. Schlieslich betrat man mit dem Viertakter absolutes Neuland.
Es war nicht nur technisch eine gewaltige Herausforderung, auch an die
Erwartungen der markentreuen Zweitakt-Kundschaft musste man denken. Gleichzeitig
wollte man aber auch einen neuen Kauferkreis ansprechen, fur den Hubraum,
Leistung und Geschwindigkeit an erster Stelle stand. Langst wusste man namlich,
wurde das zukunftige Flaggschiff bei deutscher Fahrweise und auf deutscher
Autobahn seine Reifeprufung bestehen, wurde die GS 750 nicht nur bei uns,
sondern weltweit ein Erfolg werden.
In der 750er Klasse war damals die 67 PS
starke Honda CB 750 F1 das Mas der Dinge,
und hinter der brauchte sich die neue Suzuki bestimmt nicht verstecken. Das luftgekuhlte
Vierzylinder-Viertaktaggregat war eine Augenweide, japanischer Maschinenbau in
feinster Ausfuhrung. Zwar stand in den
Papieren die Leistung nur mit 63 PS bei
8800/min, doch der quicklebendige Kurzhuber mit zwei obenliegenden Nockenwellen
drehte locker bis 10000/ min und brachte so den 246 kg schweren Tourensportler auf gut 200 Stundenkilometer. Fur dieses Kunststuck hatten die
Suzuki-Techniker dem drehfreudigen Motor einige technische Leckerbissen
spendiert. Damit die Ventil-Steuerzeiten stets konstant blieben, arbeitete
der Kettenspanner automatisch, die direkte Betatigung von Ein- und
Auslassventilen ubernahmen Tassenstosel. Um das Ventilspiel zu korrigieren,
konnten die Tassenstosel mit einem Hebelchen herabgedruckt werden, und ein
Austausch der Einstellplattchen (shims) war im Handumdrehen und ohne Ausbau der
Nockenwellen moglich. Fur diese
Wartungsarbeit gab es Spezialwerkzeug und
ein Kastchen mit verschiedenen Einstellplattchen.
Im horizontal geteilten Motorgehause lief die
Kurbelwelle in Rollenlagern, die Pleuel in Nadellagern. Zum damaligen
japanischen Standard gehorte das Funfganggetriebe, elektrischer Anlasser
und zur Sicherheit aber auch noch ein
Kickstarter. Den Hinterradantrieb ubernahm eine neuentwickelte O-Ring-Kette. Um
das "Blauwerden" der Auspuffkrummer zu verhindern, waren die Rohre doppelwandig,
die Entsorgung der Abgase ubernahm eine eng am Rahmen anliegende
?4-in-2g-Anlage.
Das Chassis war als verwindungssteifer
Doppelrohrrahmen mit Telegabel, Schwinge und zwei Federbeinen ausgelegt. Anstelle von
gebrauchlichen Kunststoffbuchsen ubernahmen Nadellager die Fuhrung der
Stahlschwinge, ein Novum, das man bei anderen Maschinen vielfach vergeblich
suchen konnte. Vorn und hinten verrichtete je eine 300-mm- Scheibenbremsanlage
ihre Arbeit, auf die Speichenrader waren vorne ein 3.25 H 19 und hinten ein 4.00
H 18 Bridgestone Pneu montiert. Im Fahrverhalten zeigte die Neuschopfung mehr
?italienische als japanischeg Qualitaten
und Eigenschaften, Handling,
Lenkgenauigkeit und Geradeauslauf waren hervorragend.
Im Gesamtbild entsprach die GS 750 der
Vorstellung eines Tourensportmotorrads, ohne Schnorkel und Extravaganzen mit
Technik zum Durchgucken. Fahrer und
Sozius hatten bequem auf einer komfortablen Sitzbank Platz. Uber Betriebs- und
Fahrzustande informierten gut ablesbarer Tacho und Drehzahlmesser, dazwischen
gab es ein Display, das digital den jeweils eingelegten Gang anzeigte, sowie
Leuchten fur Fernlicht, Oldruck, Blinker
und Leerlauf.
Das
Vierzylinder-Bike war fast perfekt.
Lediglich zwei Dinge passten Technikchef Ernst Degner nicht. Die Federbeine
empfand er als zu hart, und mit nur einer Scheibenbremse am Vorderrad konnte und
wollte er sich nicht anfreunden. Hinsichtlich der Fahrwerksabstimmung lies er
seine guten Kontakte zu Koni spielen. Fur die knapp funf Zentner schwere Maschine stellte Koni
Versuchsfederbeine bereit, die den Fahrkomfort deutlich verbesserten und sofort
fur weitere Studienzwecke nach Japan
geschickt wurden.
Mit der Bremsanlage lies sich in Heppenheim
dagegen nichts anderes ausprobieren. Trotzdem lies Degner den roten Draht nach
Japan gluhen. Doch das Montageband lief bereits, und Anderungen waren nun nicht
mehr moglich. Degner blieb jedoch energisch und konnte das Werk uberzeugen. Unburokratisch und kostenlos
wurden alle schon gefertigten GS 750
B (?Bg = Baujahr 1976) nachtraglich bei
den Vertragshandlern auf
Doppelscheibenbremsanlage mit 275 mm Durchmesser umgerustet.
Ab
Modelljahr 1977 gab es die GS 750 DB, (?Dg = Doppelscheibenbremse, ?Bg = Baujahr
1977) serienmasig mit zwei Scheibenbremsen am Vorderrad.
In einer Vielzahl von Tests musste das
aktuelle Topmodell seine Qualitaten unter Beweis stellen. Ob Einzel-, Vergleichs- oder Langstreckentest,
die GS 750 hatte die Nase immer vorn. Bemerkenswert ist, dass das Motorrad
keinerlei Kinderkrankheiten zeigte. Die erste Viertakt-Suzuki wurde auf Anhieb
Klassenbeste.
Inzwischen waren Tuner und Rennfahrer auf die
agilen Flitzer aufmerksam geworden. Der japanische Tunerpapst Pops Yoshimura zum
Beispiel bereitete eine GS 750 mit Spezialteilen fur das beruhmte
Superbike-Rennen von Daytona Beach/USA vor. Im Marz 1978 gewann Steve Mc
Laughlin mit dieser Yoshimura-Suzuki das 200-Meilen-Rennen in
Daytona.
Der Einstieg in die Viertakt-Fraktion war
Suzuki mit Bravour gelungen. Schon kurz nach der Markteinfuhrung der GS 750
folgte 1977 die GS 400 mit Zweizylinder-Motor und die GS 550 mit
Vierzylinder-Triebwerk. 1978 kam das Big-Bike GS 1000 und 1979 die erste
Kardan-Suzuki GS 850 EN hinzu. Die beiden kleinen Schwestern sowie das
Kardan-Bike und der grose Bruder arbeiteten nach dem gleichen
DOHC-Motorbauprinzip wie die GS 750. Viele Bauteile von Motor und Fahrwerk waren
identisch und passten bei allen GS-Modellen. Das bereits von den Zweitaktern bekannte "Baukasten-Modellprogramm" wurde von Suzuki in
der neuen Viertakt-Generation konsequent fortgesetzt.
1978 erfuhr die
GS 750 Modellpflege. Neben neuen Farben und Dekor gab es die 750er wahlweise mit
Speichenradern als GS 750 C (gCg = Baujahr 1978) oder mit Alu-Gussfelgen als GS
750 EC (gEg = Gussrader). Fur die Easy
Rider Fans erweiterte Suzuki 1979 das 750er Angebot mit dem Softchopper GS 750
LN (gLg = Chopper, ?Ng = Baujahr 1979). Mit geandertem Drehmomentverlauf, mehr "Dampf
aus dem Keller", kleinem Tank, Stufensitzbank und Hochlenker wollten die
Suzuki-Manager fur den neuen Softchopper-Markt in dieser Klasse ein Modell parat
haben. Doch die verkauften Stuckzahlen hielten sich in Grenzen. Auch bei der
Konkurrenz trafen die "Hochlenker-Sportler" nicht das Herz der beinharten
Chopper-Freaks.
Bis Ende 1979 blieb die GS 750 Modellreihe im
Verkaufsprogramm, insgesamt lies sie sich
3800mal bei uns verkaufen. Die Nachfolge trat 1980 die GSX 750 Generation mit
gleitgelagerter Kurbelwelle und Vierventil-Technik an. Das zweite Kapitel in der
Suzuki Viertakt-Ara hatte begonnen.
Suzuki GS 750 mit
Gusradern
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?Mit voller Pulle - immer an der
Wand langg
Anfang der 70er Jahre gab es immer wieder
Stimmen, die dem damaligen ?MOTORRADg
Cheftester Franz Josef Schermer eine Honda-Brille nachsagten. Nach dem
Test der brandneuen Suzuki GS 750 wurden
diese Leute jedoch Lugen gestraft. Die Begeisterung fur die Viertaktmaschine
brachte ?FJSg auf eine geniale Idee: mit der Maschine musste man unbedingt einen Weltrekord
aufstellen. Der bestehende 24-Stunden-Weltrekord lag namlich gerade mal bei
175,8 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit und wurde 1961 mit einer BMW R 69 S
erzielt. Als Durchfuhrungsort fur den Suzuki-Versuch sollte die
Conti-Versuchsstrecke bei Hannover dienen.
Damals war ich in der Technischen Abteilung
bei Suzuki Motor Deutschland in Heppenheim beschaftigt und betreute den
Weltrekordversuch. Erste Versuchsfahrten
mit einer vollverkleideten GS 750 wurden schnell ad acta gelegt. Sobald
Seitenwind auftrat, war sie auf dem Hochstgeschwindigkeitskurs unfahrbar. Fur
den zweiten Test schickten wir die GS lediglich mit einer Halbverkleidung,
Lenkerstummel, 20-Liter-Alutank, Hockersitzbank, zuruckverlegten Fusrasten und
nur wenigen Detailanderungen in die Steilwand. An diesem Marzwochenende 1977 konnten wir eine Durchschnittsgeschwindigkeit
von 205 km/h ! im Tagebuch notieren. Fur eine 750er mit serienmasigem
63-PS-Motor ein sensationelles Ergebnis, der Termin fur die Rekordfahrt wurde festgesetzt. Doch genau zwei Wochen vor
der geplanten Aktion stellte Kawasaki mit der Z 650 im Speedway von Daytona Beach drei Weltrekorde fur die Klasse bis 750 ccm auf.
Die neuen Werte waren:
6 Stunden ein Schnitt von 205,8 km/h
12 Stunden ein Schnitt von 190,6 km/h
24 Stunden ein Schnitt von 188,6 km/h
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In einer Krisensitzung entschied die Suzuki
Geschaftsleitung in Heppenheim mit den Redakteuren von MOTORRAD, den
Rekordversuch abzusagen und aus dem Vorhaben einen ?1000-km-Vollgastestg zu
machen. Ohne nennenswerte Probleme spulten sechs erfahrene Vollgaspiloten die
Distanz mit einem Schnitt von 192,4 km/h ab.
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